Berlin Station

Erschienen in DAS THEATERMAGAZIN 11/2017

2 Staffeln, abrufbar auf Netflix

Im Juli 2017 präsentierte Netflix Deutschland die erste Staffel von „Berlin Station“. Viel Werbung wurde dafür nicht gemacht. Und als Zuschauer dachte man zunächst: Noch eine Agenten-Serie? Kann das gut gehen? Es kann. Und wie. Das gilt auch für die gerade erschienene 2. Staffel. Denn die Crew um Serien-Erfinder Olen Steinhauer macht vieles richtig.

Aber was genau machen die US-Amerikaner anders als deutsche Serien-Produzenten? Ähnlich wie der nur Monate zuvor von Amazon produzierte und groß angekündigte deutsche Serienversuch „You are wanted“ spielt „Berlin Station“ in der deutschen Hauptstadt. Was die amerikanische Agenten-Serie aber vom Schweighöfer-Einerlei unterscheidet, ist ihr Umgang mit Berlin: Während die Stadt bei „You are wanted“ zur bloßen Kulisse verkommt, in der man nahezu kein Setting glaubt, weil Regie und Produktion zu sehr darauf aus sind, die üblichen Postkarten-Motive ins Bild zu bekommen, setzt „Berlin Station“ auf ein authentischeres Berlin, traut sich in Weddinger Hinterhöfe, in Kreuzberger Bars oder in queere Nachtclubs – eben ins Berliner Leben der Gegenwart. Natürlich darf im Agenten-Plot auch der Teufelsberg nicht fehlen.

Hilfreich war sicher, dass die Drehbuch-Autoren während ihrer Arbeit tatsächlich in der Stadt lebten – drei Viertel der Dreharbeiten sollen auch in Berlin stattgefunden haben, die Innenaufnahmen entstanden im benachbarten Potsdam-Babelsberg.

„Berlin Station“ spielt in der Welt US-amerikanischer CIA-Agenten, die in der titelgebenden Station in der US-Botschaft am Pariser Platz ihre deutsche Basis haben. Protagonist Daniel Miller (Richard Armitage, bekannt als Thorin Eichenschild aus „Der Hobbit“) ist gerade nach Berlin versetzt worden, offiziell zur Unterstützung des Teams um Station-Chef Steven Frost (Richard Jenkins), inoffiziell von höherer Stelle damit beauftragt, einen immer mehr für Skandale sorgenden Whistleblower namens „Thomas Shaw“ ausfindig zu machen.

Shaw hat schon einige Geheimdienst-Interna medienwirksam an die Redaktion der „Berliner Zeitung“ weitergereicht (deren federführende Journalistin spielt die Deutsche Victoria Mayer), natürlich sehr zum Missfallen der ohnehin schon unter ihrem schlechten Image leidenden US-Geheimdienste; und zur Freude von Datensicherheits-Kritikern in Deutschland, bei denen Shaw zu so etwas wie einem Popstar-Phantom geworden ist.

In den zehn Folgen der ersten Staffel ist so ziemlich alles drin, was man von einem Agenten-Thriller erwartet: geheime Treffen, versteckte Nachrichten, Verfolgungsjagden, abgehörte Telefonate, Doppelagenten, Saboteure, Affären … Das ist spannend und unterhaltsam – und trägt die Episoden-Dauer von jeweils 50 Minuten nahezu ohne Längen. Dabei lebt die Serie von Aktualität und Realitätsbezug. Die „normale“ Arbeit neben der Shaw-Jagd heißt, zugegebenermaßen sehr naheliegend: potentielle Islamisten aufspüren und möglichst in flagranti bei der Anwerbung von Unterstützern für den Krieg des IS in Syrien zu erwischen.

Wenn die CIA mit dem deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz zusammenarbeitet und dabei nicht alles mit rechten Dingen zuzugehen scheint, fühlt sich der deutsche Zuschauer an den einen oder anderen Verfassungsschutz-Skandal erinnert. Die Besetzung von BfV-Chef Hans Richter und Mitarbeiterin Esther Krug mit den deutschen Schauspielern Bernhard Schütz und Mina Tander erweist sich als Glücksgriff: Ihre Figuren werden so geschickt geführt, dass sie mal Vertraute, mal Gegenspieler der Amerikaner zu sein scheinen. Dass sie in der amerikanischen Originalfassung Deutsch sprechen, ist da selbstverständlich: Authentizität wird bei „Berlin Station“ eben groß geschrieben.

Auch der Abhörskandal um das Kanzlerinnen-Handy findet Platz in den 500 Spielminuten der ersten Staffel. Die Serie versucht erst gar nicht, das Image des Geheimdienstes als Datensammelkrake zu beschönigen, sondern stellt es schonungslos zur Schau: Permanent werden Rechner gehackt, Handys abgehört, versteckte Kameras installiert – amerikanischer Agentenalltag eben. Der Titelsong „I’m afraid of Americans“ von David Bowie ist denn auch kein Zufall, sondern Programm.

Mit dramaturgischer Sorgfalt sind die Figuren entwickelt. Jede hat ihre Geheimnisse – selten weiß der Zuschauer, wo die Agenten-Professionalität endet und die private Figur beginnt: Hauptfigur Daniel Miller trägt genauso sein Paket wie Station-Leiter Steven Frost und Co-Leiter Robert Kirsch (Leland Orser), die ihre Leichen im Geheimdienst-Keller haben und unter Druck geraten, als die CIA-Zentrale genauer hinzuschauen versucht. Hector DeJean (Rhys Ifans), ein sogenannter Case Officer und ranghoher Mitarbeiter der Station, verbindet eine verschüttete Geschichte aus der Vergangenheit mit Daniel Miller. Hinzu kommt eine merkwürdige Connection DeJeans in die queere Szene – so undurchschaubar sie ist, so gut motiviert sie das gezeigte Berliner Nachtleben. Auch die Figur Julian, ein Vertrauter DeJeans, ist mysteriös. Ihr Darsteller, Ex-Berliner-Ensemble-Schauspieler Sabin Tambrea, ist ein Pfund: Wie er seiner Figur aschgraue Rätselhaftigkeit verleiht, ist reine Zuschau-Freude.

Was also ist das Erfolgsgeheimnis von „Berlin Station“? Sicher, dass die Serie unter dem Aufmerksamkeits-Radar entstehen konnte und damit anders als die anderen in Berlin spielenden Agenten-Serien – wie „You are wanted“ und die fünfte „Homeland“-Staffel – frei von Erwartungsdruck war. Die Produzenten konnten ungestört an ihrer Vision arbeiten, ohne unter permanenter Medien-Beobachtung zu stehen. Dazu gehört aber auch das Casting von Suzanne Smith: Es spielen sehr gute, dabei nicht unbekannten Schauspielern, die aber alle noch nicht fernseh-‚verbraucht’ sind. Und dann ist da die unverkennbare Liebe zum Detail, ja: zur Perfektion. Sie reicht vom Umgang mit den Locations (Spiel-Orte und die Wege dazwischen sind fast immer realitätsgetreu miteinander verbunden) über das Kamerabild (Hagen Bogdanski) bis zur Ausstattung (Christiane Rothe).

Auf dem Heimatmarkt erntete „Berlin Station“ nicht nur wohlwollende Kritik – vielleicht ist sie für den US-amerikanischen Zuschauer zu deutsch? Für den hiesigen jedenfalls ist es neben der spannenden Story gerade das deutsche Umfeld, das den Reiz ausmacht. Und die erschreckende Aktualität. Natürlich könnte man der Serie vorwerfen, dass sie sich mit der Wahl von Berlin als Spielort auf einen Trend setzt, sich beim aufregenden Image der immer schlaflosen Metropole bedient. Und dass die Storyline vielleicht noch ein wenig dichter sein könnte, überraschender, mit noch mehr Wendungen. Aber das wäre Jammern auf hohem Niveau.