Immer wieder neu – Kooperationen sind Beziehungsarbeit, Kulturstiftung des Bundes (2017)

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von Dirk Baumann

Der Text wurde veröffentlich auf der Debatten-Seite des Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes

Die Debatte um Kooperationen zwischen freien Gruppen und Stadttheatern polarisiert. Good Cop und Bad Cop sind offenbar ausgemacht. Und die Diskutanten scheinen sich sehr sicher, mit wem sie es auf beiden Seiten zu tun haben. Ich aber möchte zuerst die Frage stellen: Was ist eigentlich eine freie Gruppe? Genauso wenig wie es das Stadttheater gibt (und ich hier auch nicht beanspruche, im Namen aller öffentlichen Theater zu schreiben), gibt es die freie Gruppe. Es gibt auch nicht die passende Struktur, weshalb alle Forderungen nach veränderten Strukturen an der Oberfläche bleiben müssen. Jede Arbeitsbeziehung muss sich neu entwickeln, hat ihre je eigenen Bedürfnisse und Anforderungen. Und genau deshalb gibt es auch kein Patentrezept, wie umzugehen ist mit dem verstärkten beiderseitigen Bestreben nach Kooperationen, sicherlich auch gefördert durch den Fonds Doppelpass. Wer erfolgreich kooperieren will, der muss sich darauf einlassen, sich selbst neu und (neue) Partner (neu) kennen zu lernen.

Das Peng! Collective am Schauspiel Dortmund

Anhand zweier Beispiele möchte ich zwei Möglichkeiten aufzeigen, die eben das sind: Möglichkeiten – und keine Patentrezepte. Im Fonds Doppelpass wird derzeit eine Kooperation zwischen Schauspiel Dortmund und dem Peng! Collective gefördert. Doch ist das Peng Collective! überhaupt eine freie Gruppe? Vor unserer Kooperation waren sie vor allem mit politischer Aktionskunst in Netz und Presse präsent, von ihren Aktionen „Slam Shell“ über „Google Nest“ bis „Intelexit“, einem fiktiv angelegten Aussteigerprogramm für Geheimdienstmitarbeiter, das schneller Realität wurde, als es die Macher/innen erwartet hatten. Sie legen den Finger in die Wunden der Gegenwart, agieren schnell und direkt, unverschämt und: ohne Angst. Und eben deshalb gehen sie direkter und ungeschützter in künstlerische Prozesse und kommen so manchmal zu Ergebnissen, die man sich zuvor kaum erhofft hatte. Und merken andererseits ungeschützter, was gar nicht funktioniert. Und hier liegt eine der Kernkompetenzen des Peng! Collective. In seinen Aktionen arbeitete das Kollektiv bisher oft mit theatralen Mitteln: Sie nahmen Rollen von Konzernmitarbeitern oder Politikern ein, entwickelten eine Kampagnen-Dramaturgie und -Narration und z.T. auch so etwas wie einen Text. Aber hätte man die diversen Künstler des Kollektivs vor drei Jahren gefragt, ob sie eine freie Theatergruppe sind, hätten sie das wahrscheinlich verneint. Trotzdem ist das Schauspiel Dortmund auf diese Gruppe von Aktionskünstlern zugegangen. Warum? Weil das Kollektiv inhaltlich am Puls der Zeit arbeitet, den klassisch gewordenen Bühnenbegriff erweitert und neue Bühnenräume jenseits von Blackbox, Raum- oder Guckkastenbühne bespielt. Und sollten wir als Theater nicht darauf reagieren, dass die Grenzen zwischen „echter Welt“ und Kunst verwischen, neue Sehgewohnheiten entstehen, und künstlerische Antworten darauf finden, anstatt sie zu ignorieren?

Störung und Intervention

Im gemeinsamen Projekt geht es daher auch nicht darum, Repertoire- Produktionen durch Inszenierungen des Peng! Collective zu ersetzen (oder gar Eintrittskarten zu verkaufen). Stattdessen versucht sich das Schauspiel Dortmund zu öffnen für neue Ästhetiken und künstlerische Arbeitsweisen jenseits des klassischen Vorstellungsbetriebs. Und dafür sind die Experten eingeladen. Der Leitspruch für diese Kooperation lautete stets: „Wir wollen uns vom Peng! Collectivestören lassen.“ Weitermachen wie bisher könnten wir schließlich auch alleine. Selbstverständlich funktioniert und funktionierte nicht alles auf Anhieb, aber wie und warum auch? Das Schauspiel Dortmund ist ein Theater, das Peng! Collective per se keine Theatergruppe. Aber die Kernkompetenz eines Theaters ist das Proben und Erproben und genauso erproben wir auch die Kooperation mit dem Peng! Collective. Die Kooperation ist noch mitten im Prozess, es werden verschiedene Formate der Zusammenarbeit von Kollektiv und Schauspieler/innen sowie Apparat probiert. Der Modus ergibt sich dabei in der Praxis.

Eine Frage der Interessen

Natürlich steckt ein Stadttheater in Strukturen fest, vor allem in dispositionellen Fragen. Trotzdem versucht das Schauspiel Dortmund – und das von Intendanz bis Assistenz – Möglichkeitsräume für Kreativität zu schaffen. Kooperationen mit Künstlergruppen sind dann sinnvoll für Stadttheater, wenn es ein dezidiertes künstlerisches und inhaltliches Interesse an einer bestimmten Gruppe gibt. Und wenn die Gruppen an der Arbeit der jeweiligen Stadttheater interessiert sind. Idealerweise entsteht aus der Kompetenz der Theater und dem Vermögen der Künstlergruppe etwas Neues, das nur in diesem offenen Raum der Kooperation entstehen kann. Und wir – die öffentlich geförderten Theater – sollten Künstlergruppen weiter genau dafür zur Zusammenarbeit einladen. Dafür muss ein Theater genauso beweglich sein wie eine Künstlergruppe. Dass dabei „Blinde Flecke“ bleiben, wie Philipp Schulte sie beschreibt, ist selbstverständlich und unvermeidlich. Von Hausseite steht ein inhaltlich-künstlerisches Interesse im Vordergrund und nicht das Abdecken irgendeiner Bandbreite. Denn dass eine Kooperation per se immer etwas Gutes ist, ist eine Mär. Ein „anything goes“ kann daher auch nicht das Ziel sein, auch Produktionshäuser verfahren nicht auf diese Weise und können darum auch nur ein Teil im Theatergefüge sein und nicht das Allheilmittel.

Neue Wege schaffen neue Strukturen

Ein zweites Beispiel: Während der am Schauspiel Dortmund veranstaltenen Konferenz „Theater trifft Aktion“ im Herbst 2014 lernten wir die Gruppe Tools for Action um den bildenden Künstler Artúr van Balen kennen, die mit ihren „Inflatable Objects“ künstlerische Mittel des Protests erforscht. Für den von der Dortmunder Neonazi-Szene geplanten sogenannten „Tag der deutschen Zukunft“ Anfang Juni entwickelten Tools for Action und das Schauspiel Dortmund eine künstlerische und zugleich politisch mobilisierende Aktion: die Spiegelbarrikade. In sechs Wochen entstanden in gemeinsamen Workshops mit Schulen und engagierten Bürger/innen der Stadtgesellschaft über 100 silberglänzende Würfel, die bei verschiedenen Demonstrationszügen am 4.6. zum Protest-Einsatz kamen. Wieder keine Kooperation mit einer Theatergruppe im herkömmlichen Sinne. Wieder keine „vorgefertigte“ Struktur, auf die sich zurückgreifen ließ. Aber gerade weil hier das Interesse des Hauses nach kreativem Protest und das künstlerische Potential von Tools for Action zusammenkamen, wurde die Kooperation eingegangen. Weil Tools for Action mit seiner Form des künstlerischen Protests zur richtigen Zeit einen inhaltlichen Anknüpfungspunkt für das Theater bereithielt. Unabhängig von der Spielzeitplanung.
Die Sinnhaftigkeit von Kooperationen steht außer Frage, wenn sie sich über die Frage des Inhalts ergibt und nicht Selbstzweck ist. Wichtig ist die beiderseitige inhaltlich-ästhetische Auseinandersetzung. An welcher Position im Spielplan sich diese Kooperation dann niederschlägt, ob im Repertoire oder außerhalb, muss eine inhaltliche Diskussion mit der Hausleitung ergeben. Produktionen freier Künstlergruppen sollten ihren Platz am Stadttheater haben. Zugleich sollten diese Gruppen aber gar nicht in eine Konkurrenzsituation gedrängt werden, anstelle eines Regisseurs bzw. einer Regisseurin im Repertoire vorzukommen. Es braucht maßgeschneiderte Kooperationen, die inhaltlich und künstlerisch motiviert sind, und nicht alte Strukturen, die diese Gruppen neu füllen.
Statt fertigen Strukturen, die einen permanent verfügbaren „Rezeptor“ für freie Gruppen zu versprechen vorgeben (und letztlich doch nur Satelliten bleiben), sind Offenheit für neue Prozesse und die Bereitschaft, sich selbst neu kennen zu lernen und auf eine Gruppe einzulassen, die entscheidenden Voraussetzungen.