Schöpfung (R: Claudia Bauer)

© Birgit Hupfeld/hupfeld.org

Premiere am 7.4.2018

nach Joseph Haydn/Gottfried van Swieten
unter Verwendung von Szenen aus „Die Ermüdeten“ von Bernhard Studlar und Motiven von Stanislaw Lem

Schauspiel Dortmund

Ein Hybrid aus Musik- und Sprechtheater, gemeinsam mit Opernsolisten, Musikern und Schauspielern! Gott schöpft Himmel, Erde, Tageszeiten, Pflanzen, Tiere und: den Menschen, als „Mann und König der Natur“. Spätestens seit Beginn des digitalen Zeitalters bekommt dieser Satz aus dem Haydn-Libretto eine neue, wortwörtliche Bedeutung. Denn der rasante technologische Fortschritt hat den Menschen zum König einer neuen „Natur“ aus Algorithmen werden lassen: Die Schöpfung eines „neuen Menschen“ rückt in greifbare Nähe. Bewegungen wie der Transhumanismus arbeiten daran, die Grenzen des menschlichen Körpers zu erweitern und dessen Funktionen zu optimieren. Einige träumen sogar davon, das menschliche Bewusstsein vollständig in digitale Speicher zu laden und so das Ich von der Vergänglichkeit des Körpers zu befreien. Parallel dazu schreitet die Entwicklung Künstlicher Intelligenz voran: Was jetzt noch als technische Spielerei erscheint, könnte morgen schon dem Menschen zum Verwechseln ähnlich sein. Längst ist ein lukrativer Wirtschaftszweig entstanden, der die Science-Fiction- Szenarien des 20. Jahrhunderts merkwürdig vertraut erscheinen lässt. Wird der biologische Mensch zum Auslaufmodell?

Die Regisseurin Claudia Bauer nimmt Joseph Haydns Oratorium Die Schöpfung von 1798 als Folie für Gegenwart und Zukunft. Sie schafft einen philosophischen und bildgewaltigen Abend, der Potentiale und Gefahren einer digitalen Schöpfung beleuchtet – und eine der brennendsten Fragen nach der Zukunft der Menschheit auf die Bühne des Schauspielhauses bringt: Wenn der Mensch zum Schöpfer wird, wer sind dann in Zukunft Adam und Eva?

Regie: Claudia Bauer
Bühne: Andreas Auerbach
Kostüme: Patricia Talacko
Dramaturgie: Dirk Baumann
Musikalische Leitung: TD Finck von Finckenstein
Regiemitarbeit: Jan Friedrich
Video: Tobias Hoeft
Ton: Jörn Michutta, Andreas Sülberg

Mit: Ekkehard Freye, Björn Gabriel, Frank Genser, Marlena Keil, Bettina Lieder, Uwe Rohbeck
Solisten: Ulrich Cordes, Robin Grunwald, Maria Helgath
Piano: Petra Riesenweber

„Theater entdecken den Transhumanismus“
Dirk Baumann im Gespräch mit Janis El-Bira
Rang 1, Deutschlandfunk Kultur
HIER hören

Aus den Kritiken:

„Mit dem sehr modern-bildgewaltigen Crossover-Schauspiel ‚Schöpfung‘ nach Joseph Haydn (…) setzt das Schauspiel Dortmund seinen eingeschlagenen Weg der außergewöhnlichen Inszenierungen fort. Das gelungene Werk von Claudia Bauer überzeugt optisch und inhaltlich. Der Stoff von Haydn aus dem Jahre 1798 wird in die Gegenwart geholt und zugleich in die Zukunft geschickt. (…) Es gibt sehr gute Dialoge zwischen Mensch und künstlicher Intelligenz. Vieles ist philosophisch, aber gut verständlich und inhaltlich spannend. Das ‚Ich-liebe-dich-Programm‘ der künstlichen Wesen mit menschlichem Antlitz ist auf Hunderte Partner gleichzeitig zu übertragen. Der Tod ist nur ein ‚technisches Problem‘. Neue Programmierungen können es lösen. (…) Das außergewöhnliche Stück wirft einen spannenden Blick auf unsere Evolution, unsere Gegenwart und eine pessimistische Zukunft.“
Abenteuer Ruhrpott

„Auf der Bühne gibt es nicht mehr die eine, christlich-abendländisch gültige Wahrheit über die Entstehung des Menschen. Hier wetteifern die Versionen und Lesarten, und es entsteht ein wunderbar versponnenes, widersprüchliches, hochästhetisches Kaleidoskop der Erkenntnis. (…) Der Abend jedenfalls lässt vielem Raum, dem unschuldigen Optimismus Haydns wie den bösen Ahnungen Lems, und das erzeugt heilsame Verunsicherung. Großer Beifall.“
Westfälischer Anzeiger

„Haydns Oratorium und die Sprechtexte, die Claudia Bauer und Dirk Baumann aus unterschiedlichsten Materialien collagiert haben, verhalten sich wie zwei parallele Linien, und die können sich zumindest in der euklidischen Geometrie niemals treffen. Die eine, T.D. Finck von Finckensteins Bearbeitung von Haydns Musik, zitiert noch einmal den großen Schöpfungsmythos der Genesis. Allerdings verschiebt sich durch die konsequente musikalische Reduktion und durch elektronische Verfremdungen die Wahrnehmung. Maria Helgath, Ulrich Cordes und Robin Grunwald, die drei stimmlich ungeheuer eindrucksvollen Opernsolisten, lobpreisen in Rezitativen, Arien und Chorpassagen zwar den Herren. Aber noch mehr feiern sie den Menschen als ,Mann und König der Natur‘.
Die andere Linie zeichnet eine zweite Schöpfungsgeschichte nach. Während sich die Bühne dreht, durchwandert das sechsköpfige Schauspielensemble die Räume (…) und spielt dabei Szenen einer Evolution durch, die schließlich in der Erschaffung einer dem Menschen überlegenen Künstlichen Intelligenz gipfelt. (…) Das Spiel des sich perfekt ergänzenden Ensembles ist wie der Gesang der Opernsolisten eine Feier des Menschen. Nur ist der Blick, den es auf den “König der Natur” wirft, etwas skeptischer. (…) Zum Ende hin treffen sich dann ein menschlicher Adam und sein Geschöpf, eine nicht-menschliche Eva, vor einem Green Screen. (…) In dieser scheiternden Liebesszene offenbart sich nicht nur auf anrührende Weise die Tragik des Menschen, der sich seiner Schöpfung als unwürdig erweist. Sie verändert auch die Geometrie der Inszenierung. Aus dem euklidischen wird ein projektiver Raum, in dem sich die parallelen Geraden in einem Punkt schneiden können. Dieser Punkt ist das letzte Rezitativ aus Haydns Oratorium, in dem der Engel Uriel Adam und Eva davor warnt, ,mehr zu wissen als ihr sollt!‘ Aber, und daran erinnert einen Claudia Bauer höchst eindringlich, der Mensch wäre nicht der Mensch, wenn er diese Warnung beherzigen würde.“
Nachtkritik.de

„Während das Oratorium von Haydn ein Auftragswerk zur Lobpreisung des Schöpfergottes ist, stellt sich Bauer mit ihrer Inszenierung konsequent gesellschafts-, sozial- und entwicklungskritisch dagegen. (…) Haydns paradiesischer Sündenfall ist bei Bauer und Baumann die Schaffung der künstlichen Intelligenz – des Cyborgs. Der Robo Sapiens und nicht mehr der Homo Sapiens wird die treibende Kraft. Der Mensch als Schöpfer, befreit von religiösen Fesseln und Zwängen. (…) Die Maschine, der Robo-Sapiens ist nicht die Lösung der Probleme, aber auch nicht der Verursacher. Das ist der Mensch alleine. Und so stellt sich am Ende, während des rauschenden Beifalls die Frage: Quo vadis Homo Sapiens? Lautet die Antwort: Wir haben versagt!? Die menschlichen Schwächen sind aber auch seine Stärken.“
Nordstadtblogger.de

„Ästhetisch ist ‚Schöpfung‘ nicht weit entfernt von den Arbeiten Kay Voges‘, (…). Die Bühne (Andreas Auerbach) ist ein Schmuckstück, im mittig kreisenden Dreh-Element paradieren die Innenräume vorbei, das goldene Zimmer, eine Art Tanzsaal, eine Dusche. (…) Alles in allem: geistig fordernd, aber kurzweilig und anregend. Viel Applaus.“
Ruhr Nachrichten

„Gespiegelt in der digitalen Philosophie der Gegenwart, in der die Maschinenwerdung des Menschen als logischer Schritt der Evolution behandelt wird, erscheint Joseph Haydns „Schöpfung“ – und das ist ein Clou der Inszenierung – ungemein naiv. Hoch komisch sogar das Finale, in dem die Sänger das frisch geschaffene Paar besingen, das auf immer glücklich sein wird, solange es davon Abstand nimmt, mehr haben oder wissen zu wollen, als es sollte.“
Taz